Ballroom

 

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Milonga: Dem Tango auf der Spur.

Text: Kerstin Lange
Fotos: Helmut Römhild

142 Töne für einen Tanz: Als Heinrich Band gegen 1850 die ersten Versionen des ‘Bandoneon’ konstruierte, hatte er natürlich anderes im Sinn, als dem Tango ‘sein’ ureigenes Instrument zu bauen – 

ihm ging es darum, die Klangmöglichkeiten des Akkordeons zu erweitern.
Und noch eine ganze Weile wurden die ersten Tangotänzer in den Armenvierteln von Buenos Aires von der Gitarre begleitet.

Doch der Siegeszug des Instruments war nicht aufzuhalten, denn “Buenos Aires hatte seit seiner Entstehung auf das Bandoneon gewartet, so wie die Pampa seit Tausenden von Jahren auf das Pferd.”

 

Maisie Tyler

Der Tango: nicht nur ein Tanz mit einem eigenen Instrument.

Auch ein Tanz mit ganz besonderen Spielregeln, die eigentlich wenig mit dem Tanzen zu tun haben.
Nicht vergessen sollte man zum Beispiel folgendes:
Der Mann fordert die Frau stets von vorn auf, vor dem Auffordern kommt der Blickkontakt, mit den Augen signalisiert die Frau, daß sie tanzen will, oder nicht, nach dem Tanz begleitet der Herr seine Dame wieder an ihren Tisch und zieht sich sofort zurück ...

Es geht also auch um den echten, den wahren Mann und seine Ehre – willkommen in der Welt des Macho!

 


Benimmregeln für echte Kerle, eine Ziehharmonika made in Germany und ein paar Tanzschritte – 

das kann doch nicht alles sein, oder?

Ein paar Tage später erfahre ich mehr, und zwar dort, wo das Original aus Argentinien getanzt wird.

Nein, ich bin nicht in Buenos Aires.

Die Stadt heißt immer noch Hamburg, denn wie sagt Tango Argentino Meister Hector Falcon:
“Ein anderer, wichtiger Aspekt des Tango ist, daß man ihn überall auf der Welt auf einer Milonga tanzen kann, selbst wenn man die Landessprache nicht spricht ...”

Milonga?

“Nächsten Sonntag, im Schloßpark”, sagt Tangotrainerin Ingrid Saalfeld am Telefon. “Bei gutem Wetter.”

Es ist Sonntag, das Wetter brauchbar, die Rosen im Schloßpark von Hamburg-Bergedorf blühen.
Den Wagen geparkt – wohin jetzt?
Wir machen das, was alle Tänzer tun: Wir folgen der Musik. Und was wir da von fern hören ist ohne Zweifel ein Tango: wir sind richtig.

Milonga im Park: Mindestend vier bis fünf Paare sind auf der Tanzfläche.

Das ist eine Tanzfläche?

“Fünf mal fünf Meter, Holzboden.” Ingrid ist geradezu stolz.
Aber natürlich, ich erinnere mich: Der Tango Argentino Tänzer bevorzugt überfüllte Tanzlokale, das Tanzen auf engstem Raum gilt als die höchste Herausfoderung, es zu meistern als die höchste Stufe des Könnens.

Je kleiner die Fläche, desto ‘echter’ der Tango Argentino.

Aber das hier, das ist doch kein Tango. Das ist ein Walzer, ein echter ‘Wiener’ –  nur hängt hier nicht der Himmel voller Geigen, sondern diese Musik wird mit dem Bandoneon gemacht und hat ihren Ursprung eindeutig am Rio de la Plata.
Doch auch, wenn das hier ‘Vals’ heißt, ist es trotzdem ein ‘Wiener’.

Und ein Wiener Walzer auf diesem Handtuch von Fläche?
Unmöglich! Man braucht doch mindestens das 5 fache an Platz, um zum ‘Fliegen’ zu kommen.

Unmöglich? Die sechs Paare amüsieren sich hervorragend, vergeblich versuche ich, Walzerschritte zu erkennen. Kein Wunder, man tanzt Tango, auch zum ‘Vals’.

Noch ein Stück Musik, dann wechseln die Partner. Der Herr fordert auf, führt die Dame auf die Fläche,

und: “Der Herr bietet seine Haltung an, die Dame entscheidet, wie eng oder weit sie umfasst werden will”, sagt Ingrid.

Ingrid Saalfeld ist Besitzerin der Tangoschule ‘Funtango’.
Sie ist Tangolehrerin, tanzt seit über 20 Jahren und hat den Tango in Buenos Aires gelernt.

Funtango
www.tango-con-pasion.de

Zitate:

Buenos Aires und das Bandoneon – zitiert nach
A. Birkenstock, H. Rüegg, ‘Tango’, 2000, 2. Auflage, S. 80

Hector Falcon und Rodolfo Dinzel – zitiert nach Interviews mit Jackie Ling Wong auf der Website ‘Tango Pulse’

‘Tango Pulse’
http://tangopulse.net/


Ich sehe die enge Haltung und die weite,

Damen, die aufmerksam und konzentriert jeden Schritt verfolgen, und Damen, die sich mit geschlossenen Augen der engen Führung überlassen.

Tango Argentino

Führung – dazu bemerkt Hector Falcon: “Ich führe: das heißt, ich stelle eine Frage. Und wenn mein Partner etwas macht, das ist die Antwort. Manchmal frage ich und mein Partner antwortet anders als erwartet; dann muß ich nochmal anders fragen. Manchmal auch etwas lauter.”

Frage und Antwort. Und die Sprache, das sind die Tango-Schritte:

Im Prinzip ein Baukasten, soviel habe ich schon verstanden. Aber was wird damit gebaut?

Wolfgang: “Ich bin Musiker und Schauspieler am Theater. Ich sehe bei der Musik Bilder vor mir, die ich durch den Tanz gestalten möchte. Ich kann darüber Gefühle ausdrücken. Gerade für Männer ist das manchmal schwierig und doch so wichtig. Männer, denen das hier entgeht, bedaure ich.”

Hannelore kam über den Salsa zum Tango Argentino und blieb dabei:
“Ich war schließlich mehrere Wochen lang in Buenos Aires, wohnte bei einer Freundin. Jeden Tag wurde trainiert. Die Lehrer kamen zu mir nach Hause und wir tanzten.”

Tango als Emotion, Tango als Leidenschaft: Das klingt vielversprechend, ich will’s genauer wissen.

Tango Argentino


Montag abend, Trainingsstunde in der Tangoschule, Anfängerkurs bei ‘Funtango’,

für Leute ‘ohne Vorkenntnisse’.
‘Ohne Vorkenntnisse’, da bin ich richtig, kein Zweifel: Schon mit den ersten Schritten stehe ich auf dem Fuß einer Dame.

Die Dame heißt Rosie Und sie sieht’s gelassen: Die Rolle des Herrn zu übernehmen heißt eben auch, die Schuhe hinzuhalten; und heißt auch, einen totalen Anfänger wie mich zu führen.

Mit 8 Jahren Standardtanzerfahrung ist Rosie einiges gewöhnt, der Tango Argentino ist auch ihr mittlerweile lieber als Walzer und Co, sie findet hier einfach besser das persönliche Maß.

Daß ich meinen ersten Auftritt in der Welt des Macho ausgerechnet mit einer Frau machen würde, hätte ich allerdings nicht gedacht.

Ich habe mir zwar meinen eigenen Mann mitgebracht, aber der hat gerade zu tun.

Seine Dame ist zierlich, mindestens einen Kopf kleiner als er, und er bemüht sich, sie unbeschädigt zu lassen.
Harte Arbeit, sein Gesicht zeigt deutlich, was ihm durch den Kopf geht:
Wo zum Teufel ist die Frau? Was macht sie denn jetzt? Was tue ich als nächstes?

Partnerwechsel ist typisch für den Tango Argentino, daß Frauen miteinander tanzen ist üblich, auch die Herren zeigen sich gegenseitig, wo’s langgeht, im Training allemal.
Schnell wird auch klar, warum Singles den Tango Argentino schätzen. Partnerwechsel heißt eben auch, daß jeder auf die Fläche kommt.

Die Fläche ist natürlich wieder eher klein, es ist eng, deshalb gelten klare Regeln:
Tanzrichtung ist gegen den Uhrzeigersinn. Immer schauen, was die anderen tun, die anderen Paare nicht stören oder behindern.

Tanzrichtung: Würde helfen, könnte man richtig führen.
Floorcraft: Vielleicht hilft es, auf die Füsse zu schauen?
Das lasse ich gleich wieder sein, Kopf hoch, nur dann sieht man, was die anderen tun.

Die weite Tanzhaltung ist für den Anfänger ein Problem: Jeder tut, was er kann und glaubt tun zu müssen. Ein kleines Chaos ...

Stop. Nochmal von vorn.
Partnerwechsel.

Mein Mann und ich bauen uns auf, Blick nach rechts.
“Herz an Herz,” sagt Ingrid und dreht uns ein wenig zurecht, bis wir uns die linke Körperseite zuwenden.
Gewicht noch nach vorn verlagern, wir halten etwas Abstand, geführt wird über die Hände und Arme.

“Der Herr öffnet damit eine Tür oder schließt sie – so erkennt die Frau die Richtung.”

Der Tanz beginnt, wir schwingen ein wenig auf der Stelle, hören auf die Musik, finden unseren Rhythmus.

Der Anfang: 3 Schritte.
Dann 2 Schritte gehen, dann nochmal 3 Schritte: der Abschluß.

Tangomeister Rodolfo Dinzel:
“Wir improvisieren ständig, nichts wiederholt sich. Tango, das ist hier und jetzt und verändert sich ununterbrochen. Wir hören auf die Musik und überlassen uns ihr.”

Der Herr stoppt, geht auf der Stelle.
Ich gehe seitwärts, kreuze meine Füsse mal vorn, mal hinten: Tangodrehung!

Jetzt das ganze links herum.
Und wieder in die andere Richtung, dann wieder links, wieder rechts, links, rechts ...
Mein freier Fuß zeichnet automatisch auf dem Boden eine Acht, sie gibt der Figur ihren Namen: Ocho.

Plötzlich wird der Grundschritt langweilig, meine Füße wollen mehr.
Liegt’s an der Musik?
Ich höre jetzt nicht nur einen 4/4 Takt sondern etwas Anspruchsvolleres.
Slow, slow, quick, quick? Passt.
Slow, quick, quick? Passt auch.
Plötzlich macht’s Spaß, wir beginnen zu ahnen, wie’s sein wird, wenn man’s vielleicht mal richtig kann:

Für einen Augenblick ist es so, als spielt die Musik nur für uns...

Die Stunde ist schnell vorbei und ich habe mit Sicherheit etwas gelernt,

auf dieser kleinen Fläche, dicht an dicht mit den anderen Paaren.

Ich habe nicht so sehr gelernt, Tangoschritte zu machen.
Ich habe gelernt, auf die Musik zu hören, gelernt, daß sie etwas von mir will, mir etwas ermöglicht.

Mein Mann schaut auf seine Füße.
Die Damen haben Spuren hinterlassen, ihre Ochos und Kreuzschritte sind als Schrammen und Staub-Streifen verewigt – 

anscheinend ist er eher im Weg, als daß er den Damen die Türen öffnet.
Bei mir sieht’s nicht anders aus, auch meine Schuhe und Hosenbeine beweisen, daß ich noch keine Milonguera bin.

Klar ist aber: Dies war nicht unser letzter Tango.
Beim nächsten Mal geht’s vielleicht schon besser.

Und vielleicht spielt die Musik ja auch beim nächsten Mal einen Moment lang wieder nur für uns ...

Tango Argentino


Vom Rio de la Plata in die Welt.

Der Tango Argentino, also der Tango, der aus den Rio de la Plata Staaten kommt und in Buenos Aires entstand, gilt als der Ur-Tango.
Am Anfang ein Tanz der Armen, der Prostituierten und Verbrecher, fasziniert er schnell auch die anderen Gesellschaftsschichten.
Trotzdem verstößt er gegen Sitte und Moral, gilt lange als anrüchig, wird von Kirche und Politik verboten.

Etwa um 1912 erobert der Tanz Europa, besonders Frankreich verfällt der ‘Tangomanie’, der ‘Salon-Tango’ setzt sich durch, Vorläufer des heutigen ‘Standard Tango’.

Was in Paris Trend ist kann auch in Südamerika nicht länger ignoriert werden. Der Tango wird nun auch im Ursprungsland als Gesellschaftstanz anerkannt.
Die Tangomusik wird anspruchsvoller, der Tanz weiterentwickelt, übersteht die zwei Weltkriege, erobert die ganze Welt.

Was Kirche und herrschende Moral nicht schafften, schafft der Rock’n Roll: gegen 1960 ist die Ära der Gesellschaftstänze endgültig vorbei, auch der Tango Argentino wird nicht mehr getanzt.
In Argentinien übernehmen die Diktatoren die Macht und entfernen die Tangokultur aus dem öffentlichen Leben: Zu sehr verkörpert sie Eigenständigkeit, Individualität und Tradition.
Schikanen wie Ausgangssperren und Versammlungsverbote drängen die Tangokultur in die Illegalität, aus Tänzern und Musikern werden Verfolgte: Musiker, Komponisten und Tänzer gehen in’s Exil nach USA und Europa.

Nach dem Sturz der Diktatoren lebt der Tango wieder auf, ist heute fester Bestandteil des Alltags, gehört zur Identität von Argentinien und Uruguay. Die Tangokultur wird staatlich gefördert, Tangomeister wie Rodolfo Dinzel und Hector Falcon sind heute berühmte Professionals.

Da der Tango Argentino kein Standard Tanz ist, kann auch kein endgültiges Repertoire von Figuren gelehrt werden.
Tango Argentino zu lernen heißt deshalb, Tango zu tanzen – so oft wie möglich, mit so vielen Partnern wie möglich.

Nach wie vor gilt das Tanzen auf der Milonga, der Tanzveranstaltung für jedermann, also auf kleinem, überfülltem Parkett als die eigentliche Herausforderung. Dort für sich und den Tanzpartner eine Privatsphäre zu schaffen, ohne die anderen Tänzer zu stören, gilt als das höchste Können.

Tanz und Tango-Musik sind untrennbar verbunden.
Die Tango-Musik hat ihren Ursprung in eher einfachen Liedern, gespielt von Duos und Terzetten. Das Hauptinstrument ist am Anfang die Gitarre.

Spätestens zwischen 1935 und 1955, im sogenannten ‘goldenen Zeitalter’ des Tango, wird die Musik von großen Orchestern gespielt, die Kompositionen sind anspruchsvoll.
In den 1970ern schließlich öffnet Astor Piazolla dem Tango die internationalen Konzertsäale.

Den unverkennbaren Klang verdankt die Tango Musik dem Bandoneon, dem Knopf-Akkordeon aus Deutschland, um 1850 konstruiert von Heinrich Band, weiterentwickelt zum weltweiten Exportschlager.
Die Doble-A Version von Alfred Arnold mit 142 Tönen und fast 5 Oktaven gilt bis heute als unübertroffen.
In der Hand eines Meisters steht dieses Instrument gleichberechtigt neben den Streichern und Bläsern großer Orchester.


 

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Aktualisiert: 05.07.2009