Ballroom

 

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Eiskunstlauf, Ozeanriesen und eine junge Frau aus London: Maisie Tyler über Profitanzsport in den Vierziger und Fünfziger Jahren.

Text: Kerstin Lange
Fotos: Maisie Tyler: Helmut Römhild / andere: zur Verfügung gestellt von Maisie Tyler

Quotes

Ich habe keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, was alles hätte schiefgehen können. Ich war einfach nur froh, daß ich eine Fahrkarte und einen Sitzplatz im Zug bekommen hatte.

Ich fuhr also nach Paris, allein, um mich dann dort mit meinen Tanzpartner zu treffen. Es war nicht üblich, daß eine junge Frau allein reiste. Ich sprach kein Wort Französisch oder irgendeine andere Fremdsprache, sodaß schon das Umsteigen zum Abenteuer wurde.”
Es ist das Jahr 1947, von dem die nette Dame erzählt.

Und eine Reise von London nach Paris, quer durch Nachkriegseuropa, war für jedermann ein Abenteuer  – nicht nur für eine junge Tänzerin von 23 Jahren, die sich vorgenommen hatte, auf der ersten Weltmeisterschaft nach dem zweiten Weltkrieg anzutreten, gegen Paare aus 6 Ländern.

 

Maisie Tyler

Maisie Tyler: Weltmeisterin und Europameisterin 1947.
Profitänzerin, Trainerin und Besitzerin von Tyler's School of Dancing in Newquay, Cornwall.


Entschlossenheit und jede Menge Energie:

Was die junge Frau im Zug nach Paris damals angetrieben hat ist auch heute wieder zu spüren, während wir uns mit Maisie Tyler unterhalten.
Vor ein paar Wochen hat sie sich den Knöchel gebrochen und braucht wieder einmal ihre Kraft, diesmal, um durch den Alltag zu kommen – nur eine weitere Herausforderung von den vielen, die sie in ihrem Leben als Sportlerin gemeistert hat.

”Ich hatte mal wieder Glück,” sagt sie und lächelt. “Das Krankenhaus ist direkt gegenüber! Sie halfen mir über die Straße und reparierten die Sache im Handumdrehen.”

Aber es ist schon lästig für jemanden wie Maisie: Sie ist es gewöhnt, ihre Tanzschule zu führen, jede Woche zu unterrichten und Paare für den Wettkampf zu trainieren – gerade wechselte eines ihrer Paare ins Profilager.

 


Sie lebte in London, war 23, als ihre eigene Profikarriere begann – mit einem Eiskunstläufer.

“Es war eine schwere Zeit, direkt nach Kriegsende. Aber ich war begeisterte Tänzerin und recht gut, schon gleich von Anfang an. Zufällig traf ich diesen Schweizer, der mein neuer Tanzpartner wurde. Er suchte jemanden, der mehr wollte, als nur zum Spaß zu tanzen.”

Energie, Entschlossenheit – und natürlich Glück:

Gerade auf Jacques Gerschwiler zu treffen und von ihm unter die Fittiche genommen zu werden war sicherlich mit das Beste, was einer jungen Tänzerin am Anfang ihrer Laufbahn passieren konnte.
Gerschwiler, schon ein reiferer Herr von 48 Jahren, war bereits Legende. Er war Trainer von Beruf – für Eiskunstlauf, machte aus jungen Talenten Sportler der Weltklasse.

Er hatte in Deutschland Sportwissenschaft studiert, lebte aber in England, in Richmond, war Cheftrainer des Richmond Ice Rink, auch bekannt als ‘Sports Drome’, eine der größten Eissporthallen der Welt.

Glück für Maisie, daß Eiskunstlauf und Tanzsport eng verbunden waren,

und daß Jacques Gerschwiler nicht nur seine erfolgreichen, wissenschaftlichen Methoden auf den Tanzsport anwandte sondern auch selbst Sporttänzer war:
“Er war Profi. Er trainierte mich und wir waren zusammen so erfolgreich, daß wir 1947 die Weltmeisterschaft in Paris gewannen. Von da an wollte ich nur noch Profi sein.”

Als Maisie Urkunde und Pokal bekam, damals, 1947, auf dem Parkett des Salle Robinson in Paris,

begann nicht nur ihre Karriere als Profi.
sie stand auch für den Neubeginn des Tanzsports nach dem Zweiten Weltkrieg, machte auch deutlich, daß Tanzen jetzt unwiderruflich ein Wettkampfsport geworden war und erste Plätze nur durch hartes und systematsiches Training zu gewinnen waren. Und sie bestätigte den Siegeszug des ‘English Style’.

So war sie, als Tänzerin in der Nachkriegszeit, Teil einer Entwicklung die weit zurückreichte, sogar bis vor die Jahrhundertwende.

Der Mann, der die Weltmeisterschaft von 1947 organisierte, war Camille de Rhynal, bekannter Tanzlehrer, bekannter aber noch als ‘Event Manager’ und Impressario.
Tanzen war sein Geschäft seit er die Tango-Manie der Jahrhundertwende ausnutzte und Tango Wettbewerbe an der französischen Reviera veranstaltete, dieses Geschäft dann nach Paris verlegte, wo er die ersten Weltmeisterschaften organisierte.

Es war die Große Konferenz von 1929, die schließlich seinen Unternehmungen den Todesstoß versetzte: Nachdem englische Tanzlehrer die Regeln des modernen Tanzen festgelgt hatten, wurde das Tanzen zum Wettkampfsport.
Camille de Rhynals Veranstaltungen wurden schlichtweg nicht mehr zur Kenntnis genommen. ‘Wirklich’ getanzt wurde nun in Blackpool und London, nach den Regeln des ‘English Style’.

Der Zweite Weltkrieg war das Ende dieser Entwicklung. Und es war wieder de Rhynal, der die ersten Wettkämpfe nach Kriegsende organisierte, dabei versuchte, das Chaos der Nachkriegszeit auszunutzen, indem er seine eigene Organisation wiederbelebte, um sie als Weltdachverband zu etablieren.

Die große Ära des Tanzens lebte noch einmal auf in den Vierziger und Fünfziger Jahren,

war wieder Massenunterhaltung für Menschen, die so gut wie keine Freizeit hatten und denen nur einige wenige der heutigen Freizeitmöglichkeiten zur Verfügung standen.
Tanzen stillte auch die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft nach dem Krieg, brachte etwas vom Glanz der Schönen und Reichen in das Leben der normalen Menschen.

Maisie war in Londen, das heißt: mittendrin.

“Ich hatte es gut, ich wohnte bei meiner Mutter. So konnte ich mich darauf konzentrieren, als Tänzerin meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Meine Schwester war Schneiderin, sie machte meine Kleider. Man konnte keine kaufen, in dieser Zeit. Es war sogar fast unmöglich, gute Stoffe zu finden. Aber trotz allem ging es bald wieder hoch her in den Studios und Tanzsälen.”

MaisieAndNormanTyler

Das Hammersmith Palais de Danse, kurz: Hammersmith Palais, war schon seit 1919 einer der großen Ballsäle gewesen.
Jetzt war es wieder der Ort, an dem sich die Tänzer trafen.

Maisie: “Hammersmith Palais mocht ich am liebsten. Und dort traf ich auch meinen Mann, Norman Tyler.”

Sie heirateten 1953, genau in dem Jahr, in dem Queen Elizabeth II gekrönt wurde. Jacques Gerschwiler bat die Tylers, im Richmond Ice Rink aufzutreten: die gewaltige Halle war in einen Ballsaal verwandelt worden, hergerichtet für Veranstaltungen zu Ehren der jungen Königin.

“Die Krönung der
Queen Elizabeth war etwas ganz Großes.

Es gab Shows und überall wurde gefeiert. Wir waren an diesem Tag auf der sogenannten ‘Drome Night’ zusammen mit einer gewaltigen Menge von Menschen. Es war einfach wundervoll.”

Trotzdem war nicht zu übersehen, daß es immer schwieriger wurde, als Profi vom Tanzen zu leben. Tanzschulen und Tanzsäle schossen überall aus dem Boden und die Menschen hatten immer mehr Auswahl, zu tanzen und tanzen zu lernen .

Wieder war es einfach Glück: Der Blue Lagoon Ballroom in Newquay

suchte ein Tänzerpaar für Showauftritte und Tanzunterricht.
Wieder war es aber auch die Leistung von Maisie und ihrem Mann, daß sie den Vertrag für die Saison bekamen.

“Wir hatten immer gern in London gelebt und vermißten die Stadt sehr. Aber die Leute amüsierten sich jetzt eben anderswo. Deshalb gingen wir schließlich nach Newquay. Das ‘Blue Lagoon’ war damals berühmt, die Menschen standen Schlage vor den Türen.”

Der Tourismus nahm immer weiter zu und Newquay am Atlantik im Südwesten Englands war ein Seebad, in dem es von Urlaubern nur so wimmelte.
Im Ballsaal des Blue Lagoon war jeden Abend Tanz, die ganze Saison hindurch.
Dazu kamen Touristen und sogar Einheimische zu dem Tanzunterricht oder um sich die Shows der Profitänzer anzusehen.

Die Auftritte von Maisie und Norman waren beieindruckend – so sehr, daß den beiden ein ganz besonderes Angebot gemacht wurde.

“Man bat uns, an Bord der ‘Empress of Scotland’ aufzutreten, ein Schiff der Canadian Pacific Reederei. Diese Reise werde ich nie vergessen: Die Reichen und Reichsten, die wunderschönen Tanzsäle, die Garderobe, die Atmosphäre – alles war einfach Spitzenklasse.

Tanzen war ein sehr beliebter Zeitvertreib an Bord. Und kaum daß wir angefangen hatten, wurden wir auch schon für die nächste Reise verpflichtet..”

Die ‘Empress of Scotland’ war ein Passagierschiff

das auf der Transatlantikroute Liverpool-Montreal fuhr oder, im Winter, in der Karibik kreuzte.

EmpressOfScotland

“An Bord lernten wir die Millionäre kennen, zum Beispiel den Besitzer der Fabrik, die Ovomaltine herstellte oder den Mann aus Manchester, der uns für einen Auftritt am Geburtstag seiner Tochter engagierte. Also reisten wir nach der Kreuzfahrt nach Nordengland, wohnten im besten Hotel von Manchester, legten eine Supershow hin und amüsierten uns prächtig.”

Doch die Zeiten änderten sich. Und so, wie die Ära der Ozeanriesen zu Ende ging,

man statt auf Schiffen im Jet reiste, sich die High Society in den Jet-Set verwandelte, so verschwand auch der Gesellschaftstanz und Freizeit wurde anders verbracht als in Ballsälen.

“Eine andere Sorte von Menschen kam an den Atlantik und nach Newquay – es waren die Surfer und überhaupt alle, die irgendeine Art Wassersport betrieben. Tanzen war jetzt nur noch ein Zeitvertreib unter vielen anderen und wir starteten ein zweites Unternehmen neben dem Tanzensport: Bed and Breakfast.”

Natürlich blieb Tanzen für Maisie der Lebensinhalt.

Sie nahm Neues schnell an und brachte die Tanzschule immer wieder in’s Geschäft.

“In den Siebzigern kam der Disco Sound. Wir waren sofort dabei, übernahmen den neuen Stil und boten Unterricht an. Wir waren damit recht erfolgreich, konnten die Leute überzeugen, daß man auch dafür Stunden nehmen sollte.”

Es ist spät geworden, wir haben eine Menge gelernt, über das Tanzen, darüber, wie es war, in England vom Tanzen zu leben, damals.

Und wir haben uns auch das Bücherregal angeschaut, und ja, da standen sie: Walter Laird und Guy Howard, aktuell wie immer, immer noch erste Adresse wenn es um Latein oder Standard geht.

Es hat aufgehört zu regnen, als wir uns von Maisie Tyler verabschieden, ihr weißes Haus zurückbleibt wärend wir den Hügel wieder hinunterfahren. Und plötzlich haben wir diesen unglaublichen Blick, weit über die Stadt hinweg.
Und wir denken, wie schön es wäre, wenn das Tanzen wieder zurückkäme nach Newquay, in großem Stil – zum Beispiel irgendeine Profi-Meisterschaft. Einmal im Jahr, das wäre schon was...

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Aktualisiert: 12.01.2009